Benu und Flamingos

Ein Licht, das leuchten will, muß sich verzehren.

Purpur jenseits von Purpur, es ist das Licht, das die Kraft der Augen übersteigt.

Der Phönix gilt als Sinnbild der Wiederauferstehung – aus der eigenen Asche. Gab es ihn einst? Auch Mythen haben ihre Ursprünge. Davon geht das wissenschaftliche Denken aus. Viel ist über den Phönix berichtet worden. Was für kulturelle Ursprünge gibt es und was kann der Phönix in der heutigen Zeit bedeuten?

Er war schön, außerordentlich schön sogar, und sehr selten. Alle Formen des Phönix-Mythos von der mediterranen Antike über Persien und Indien bis nach China stimmen darin überein. Und auch darin, dass er nur in langen Zeitabständen erschien. Er war groß und stattlich wie ein Mensch. Er kam aus weiter Ferne und flog der Sonne entgegen. Die größte Verehrung war ihm zur Zeit der Pharaonen in Heliopolis im Nildelta zuteil geworden In dieser Stadt, die nach der Sonne benannt worden war, und die heute einer der vielen Vororte von Kairo ist, wurde er „Benu“ genannt.

Das Wort Benu leitet sich von Boinu ab, was „aufgehen, leuchten“ bedeutet. In der griechischen Mythologie ist Benu unter dem Namen des Phönix auch heute bekannt. Der Benu (= Phönix) war ein heiliger Vogel des Alten Ägyptens. Er wurde in Heliopolis (ägyptisch: On) verehrt. Sein Kult steht in enger Beziehung mit dem Kult des Sonnengottes. Mit Benu wird der Baum der Weide eng verknüpft. Die Weide ist weiterhin der heilige Baum Ons. Auf ihr wurde Benu bzw. Phönix geboren, was gut zu seiner Natur als Vogel passt. Der Benu entstand als Urgott aus sich selbst heraus, ähnlich wie Atum bzw. Re.Er galt als Symbol der Wiederkehr und Erneuerung des Lebens.

Doch mit ihrem Wundervogel Benu meinten die Ägypter nicht die Flamingos. Dieser kam zwar auch, aber nicht von den Meeresküsten, sondern aus den innerafrikanischen Sümpfen und Savannen. Sein Erscheinen zeigte besondere Fluten des Nils an, die es tatsächlich nur in sehr langen Zeitabständen gegeben hat. Als Vogel glich er in seiner Statur eher einem Reiher oder einem Kranich. Das Zeichen der Sonne trug er als goldene Strahlenkrone auf dem Kopf. Majestätisch wirkte seine Haltung. Wenn Benu kam, hielt die Nilflut ganz außergewöhnlich lange an. Sie fiel sehr ergiebig aus. Die Legende besagt, dass der Reiher zum Zeitpunkt des Urbeginns erschien, als sich das Land aus dem Wasser erhob (Urhügel). Die alten Ägypter beobachteten, dass sich die Reiher beim Rückgang der Nilüberschwemmungen auf den entstehenden Landflecken aufhielten. Damit wurde der Vogel zum Erneuerer, denn die zyklischen Nilüberschwemmungen symbolisierten Wiederkehr und Erneuerung des Lebens-

Auch im Gottesmythos der Ägypter spielt Benu eine Rolle.

Benu wird sehr früh zum Vogel der Sonne und zum Auge des Re. In der rötlichen Glut entsteht er jeden Tag aufs Neue, wie auch die Sonne, die Tag für Tag aus dem Dunkel emporsteigt. Benu wird als das „Ba des Re“ bezeichnet. Das schien seine Vogelgestalt nahe zu legen. Im Kreis des Osiris, wurde dann Benu mit Osiris verknüpft. Denn Osiris rückte durch seine Neubelebung an die Stelle des Re. Die Verbindung zu Osiris ist doppelter Art:

  • Benu wird zu einer Erscheinungsform des Re.
  • Benu wird als Gott des Totenreichs bezeichnet (teils sogar ohne Rückgriff auf Osiris).

Nach dem Neuen Reich wird Benu auch als menschliches Wesen mit dem Kopf eines Reihers dargestellt. Das deutet darauf hin, dass die Ägypter ihn nicht dem Ba anglichen, sondern ihn als eigenständiges göttliches Wesen empfanden. Er wird als die Seele des Osiris angesprochen. Er geht aus dem Herzen des Osiris hervor. Benu wird hier aber zu einer göttlichen Form des Bavogels, nicht zu Osiris selbst. Es geht um die Wandlungsfähigkeit des Toten. Der Ba wird also zum Benu bzw. zum Phönix. Er symbolisiert das aus dem Tode entstehende Leben.

Über diese Symbolik sind viele, ineinander verwobene Legenden zu finden. Eine Legende vom Flammentod des Phönix (bzw. Benu) spielt auf den Ursprung der aufgehenden und glutigen Sonne an. Er ging aus diesem Urzustand hervor, erneuert und jung.

Es gibt ihn tatsächlich und immer noch, diesen Wundervogel, das Urbild des Benu. Es ist der Kronenkranich. Er lebt paarweise, ist eindrucksvoll groß und trägt die Krone aus goldfarbenen Federn auf dem Kopf. Sein Schreiten wirkt würdevoll, königlich. Bis ins sumpfige Nildelta können sie gekommen sein. Das Erscheinen des Benu bedeutete Glück für die Ägypter, deren Wohl und Wehe so sehr von der Ergiebigkeit der Nilflut abhing. Doch Afrika trocknete mehr und mehr aus. Die Feuchtsavannen, der Lebensraum der Kronenkraniche, wichen äquatorwärts zurück. Die Wüste breitete sich aus. Benu kam immer seltener. Die Macht der Pharaonen schwand.

Über Heliopolis erfuhren die Griechen von dem Vogel und sie benannten ihn nach den Phöniziern, jenem geheimnisvollen Seefahrervolk, das zu ihrer Zeit an der Küste des Libanon siedelte und von dort aus zahlreiche Städte rund ums Mittelmeer gründete. Die Phönizier waren auch die ersten, die Afrika umschifften. Das geschah schon mehr als eineinhalb Jahrtausende vor den Portugiesen. Sie waren etwas Besonderes, diese Roten Seefahrer, wie ihre griechische Bezeichnung Phönizier übersetzt lautet. Was hatten sie mit dem Phönix zu tun?

Diese Seefahrer kamen höchstwahrscheinlich nicht über Land, wie es die Legende von ihrer Abstammung aus Kanaan will, sondern vom Persischen Golf um Arabien herum über das Rote Meer ans östliche Mittelmeer. Sie standen in enger Beziehung mit den ägyptischen Pharaonen. Ihr besonderes Rot stammt von der Purpurschnecke. Sie lieferte den kostbarsten Farbstoff, den Purpur der Antike. Die Purpurschnecke ist eine Meeresschnecke. Die Phönizier entdeckten wie Purpur hergestellt wird und wie man mit ihm färbt. Daraus entstand die griechische Verbindung von Phönix und Flamingos. Auch sie bilden den besonderen, sie so auszeichnenden roten Farbstoff aus Kleinstlebewesen des Salzwassers.

Fortsetzung folgt…